P. Mariano Ballestrem, L.C.
Wenn Gott einen auf den Arm nimmt – oder Ernst
„Das kannst Du machen, wenn…“
Es war ein herrlicher Frühlingstag 2005: Die Sonne schien, es war schon recht warm geworden und außerdem ging ein frisches Lüftchen. Also genauso, wie man sich einen Frühlingsstart nur wünschen kann. Wir waren mit einer Jugendgruppe auf Wallfahrt und die Hl. Messe neigte sich schon dem Ende entgegen. Es war eine schöne Messe gewesen schockierte mich zutiefst, nur ein bisschen chaotisch. Denn die große Schar der Ministranten war spontan zusammengewürfelt worden, jeder der wollte, durfte mit ministrieren. So waren sicherlich 20 Kinder und Jugendliche zusammengekommen, nur hatte ich keine Zeit mehr, sie vor der Hl. Messe einzuweisen. Um das Chaos am Ende des Gottesdienstes einzudämmen, gab ich kurz vor dem Segen die Losung aus: Wir ziehen durch das Hauptschiff der Kirche aus. Das funktioniert immer und macht den Schluss auch etwas feierlicher. Nur: Der Hauptzelebrant hatte es mir vorher in der Sakristei explizit verboten. Doch ich dachte mir nicht viel dabei und setzte mich einfach darüber hinweg. Die Ministranten machten es auch gut, der Auszug lief sehr geregelt und nicht chaotisch ab. Allerdings stellte ich vor der Kirche fest, dass der Hauptzelebrant nicht mitgekommen war. Als wir dann zur Sakristei kamen um uns umzuziehen, erwartete er uns Ministranten und mich ein Donnerwetter. Die Details muss ich inzwischen verdrängt haben, ich erinnere mich nur noch an das Ende seiner Strafpredigt. Bevor er polternd von Dannen zog, brüllte er mir noch zu: „…das kannst Du dann machen, wenn Du geweiht bist“. Die gute Stimmung war für mich dahin, auch nach Sonnenschein war mir nicht mehr zumute. Was mich so schockierte war nicht die Tatsache, dass ich mir eine Strafpredigt eingehandelt hatte – ich war mir ja meiner Schuld voll bewusst. Was mich tief innerlich irritierte waren seine letzten Worte gewesen: „wenn Du geweiht bist“. Nie hatte ich mit ihm über mein inneres Ringen mit einer Berufung gesprochen. Nicht einmal meine Eltern und Geschwister waren eingeweiht. Das war ein ganz persönliches Problem, was ich mit Gott hatte. Wie in aller Welt kommt nun also dieser Priester auf die Idee, dieses Ringen in seine Strafpredigt einzubauen – noch dazu vor einer ganzen Horde von Jugendlichen? Ich war am Boden zerstört und brauchte all meine Kraft um wenigstens nach Außen die Fassade aufrecht zu halten. Es brauchte dann noch eine Zeit, bis ich merkte, dass ich noch einen anderen „Fehler“ begangen hatte: In meinem Ringen mit Gott, hatte ich ihn gebeten, ganz laut und deutlich zu mir zu sprechen, wenn er mich wirklich als seinen Priester haben wolle. Denn von mir aus wollte ich eigentlich etwas ganz anderes mit meinem Leben machen. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass Gott meine Bitte so ernst nehmen würde… Doch der Reihe nach:
Kindheit im Paradies
Als drittes von vier Kindern bin ich 1986 in Bonn geboren. Die Familie lebte auf dem Land in einem kleinen Dorf. Zwischen Hügeln und Feldern gab es jede Menge Möglichkeiten die Welt zu erkunden. Außerdem gab es viele Jugendliche in unserem Alter, sodass wir uns jeden Nachmittag treffen konnten. Es warten Abenteuer auf uns! Es gab kein Wetter das schlecht genug gewesen ist, um uns im Haus zu halten. Ich war eigentlich jeden Tag nachmittags unterwegs und kam dann erschöpft aber glücklich zum Abendessen wieder nach Hause. Den Lehm vom Feld brachte ich meiner Mutter immer mit. Oft bildete ich mir ein, dass wir einem Landwirt helfen müssten. Wobei ich mich heute frage, ob die Begleitung auf dem Traktor in irgendeiner Form eine Hilfe oder für ihn nicht eher nervig war. Doch von früh auf, versuchte ich viel zu lernen. Etwa wie man Rinder vor sich hertreibt – und wie nicht. Wie man Traktor fährt – und wie nicht. Wie man mit schweren Werkzeugen umgeht – und wie nicht. Kollateralschäden wurden toleriert und wenigstens ein blutiges Knie im Sommer gehört einfach dazu. Mit den Jahren verlagerte sich natürlich der Schwerpunkt unserer Freizeitbeschäftigung: Vom Baumhaus bauen hin zum Spargel stechen. Langsam wurde unsere Anwesenheit nützlicher und wenn ich dann am Ende der Saison unseren „Lohn“ erhielten (Taschengeld und ein Buch), war ich stolz wie Oskar!
Ganz selbstverständlich gehört zu diesem Leben aber auch das Pfarrleben. Jede Jahreszeit hatte ihre wichtigen Feste und so teilten Dreikönig, die Karwoche und Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, St. Martin und die Advents- und Weihnachtszeit unseren Kalender ein. Schon früh fieberte ich auf die Erste Heilige Kommunion hin. Schließlich durfte ich dann auch Messdiener werden und zur Gruppe der Großen gehören. Mit all diesen Erfahrungen kam mir nie die Frage, ob ich an Gott glauben würde. Er gehörte ganz natürlich zu meinem Leben dazu.
Grenzen, die es zu überwinden galt
Irgendwann in meiner Jugendzeit bekamen meine älteren Geschwister Einladungen zu Sommercamps vom Regnum Christi. Anfangs interessierte mich das wenig, aber schon bald kam auch ich in das Alter solche Einladungen zu erhalten und irgendwann machte ich mich dann auch auf den Weg. Sie dauerten meistens eine Woche und bildeten schnell den Höhepunkt jeder Sommerferien. Zum einen, weil sie mir eine neue Welt eröffneten. Raus aus dem Rheinland, meistens in die Alpen ging es mit Wildwasserrafting etc. richtig zur Sache. Es entstanden schnell Freundschaften, die mich noch lange begleiten würden. Zum anderen spielte aber auch hier der Glaube eine große Rolle. Gebetszeiten, tägliche Messfeier und die Sakramente gehörten selbstverständlich dazu. Ich fand hier also die Aspekte wieder, welche ich aus unserem Dorf schon lieben gelernt hatte. Abenteuer, Freundschaften, Gott. All das gehörte dazu. Doch in jedem Bereich konnte ich auch über mich hinauswachsen. Beim Abenteuer hieß es eigene Grenzen zu überwinden: Gerade dann, wenn ich körperlich nicht mehr weiter wollte, gab es immer noch einen Gipfel zu besteigen. Die Freundschaften wurden internationaler: Ich kam in Kontakt mit Jugendlichen aus anderen Ländern, ja aus anderen Kontinenten. Sie brachten in der Regel andere Mentalitäten mit (und natürlich auch andere Sprachen) und ich lernte das weder das eine noch das andere ein Hindernis für eine Freundschaft darstellen musste. Und Gott? Langsam lernte ich ihn persönlicher kennen: Dass er nicht nur mein Schöpfer und Erlöser ist, sondern dass er auch mein Freund sein möchte. Jemand der einen besonderen Plan für mich vorbereitet hat und mich einlädt ihn mit ihm zusammen zu gehen. Von jeder Veranstaltung kehrte ich etwas größer wieder zurück. Nicht unbedingt körperlich, aber doch innerlich: Es waren Momente des inneren Wachstums, welche ich oft erst mit etwas zeitlicher Distanz als solche wahrnahm. Doch mit der Zeit wurde mir eines klar:
Egal was ich in meinem Leben einmal tun würde, ganz gleich welchen Weg ich einmal einschlagen würde: Der Glaube und vor allem meine Freundschaft mit Gott würde dabei eine Rolle spielen. Mit dieser Überzeugung im Gepäck trat ich dann auch als Jugendlicher dem Regnum Christi bei.
Eine Entscheidung für mein Leben
Und nachdem dieser Grundsatz klar war, fühlte ich mich innerlich sehr frei und konnte mich daran machen, die Welt zu erobern. In besonderer Erinnerung blieben mir zwei Erfahrungen aus der Jugendzeit:
Einmal hatte ich die Gelegenheit für einige Tage nach Brüssels ans Europäische Parlament zu fahren um dort beim Verfassungskonvent am Jugendtreffen teilzunehmen. Die Idee war Lobbyismus vom Feinsten: Kontakte knüpfen und über das berühmte Vitamin B (also: Beziehungen), christliche Werte hochhalten und bei Bedarf auf verteidigen. Das lag mir sehr und machte mir große Freude. Gleichzeitig sah ich aber auch, mit welchen harten Bandagen man sich dort schlug. Als ich die Heimreise antrat, stellte ich zum einen mit Ernüchterung fest, wie das politische Geschäft funktioniert. Gleichzeitig hatte ich aber erste Erfahrungen gemacht, wie man den eigenen Glauben in die Gesellschaft einbringen kann. Beides war für meinen zukünftigen Weg wichtig, schließlich verringerte sich damit die Begeisterung politisch tätig zu werden, vergrößerte sich aber die Überzeugung, den Glauben aktiv leben, etwas für Gott tun zu wollen.
Einige Jahre später erhielt ich die Möglichkeit, einen Sommer in Nordamerika zu verbringen: Erst einige Zeit in der Wildnis von Alaska und später dann auf einer Farm in Kanada. Die Grundidee war natürlich Englisch zu lernen. Doch tatsächlich ging es hier für mich um viel mehr: Die eigenen Sicherheiten ließ ich zurück und stürzte mich in eine mir völlig fremde Welt. Die gesamte Zeit verbrachte ich mit einem kanadischen Farmer, Mitglied vom Regnum Christi, der mit allen Wassern gewaschen war. Früher war er Polizist gewesen, bevor er dann mit seinem Bruder eine große Farm übernahm. Und jetzt opferte er seinen wenigen Urlaub, um Touren durch die Wildnis von Alaska zu unternehmen und dort für Jugendliche ein Sommercamp zu organisieren. Während des Sommers lernte ich ihn und seine Weisheit kennen. Tief im Gedächtnis ist mir der Moment geblieben, wo irgendeine Maschine der Farm gerade mitten in der Ernte kaputt gegangen war. Und wie er dann ölverschmiert darunter hervorkroch, den Schaden begutachtete und anstatt zu Fluchen trotzig feststellte: God is greater than any problem I have! Auf seine ganz eigene Art, lebte er mir vor, wie man mit beiden Beinen ganz fest im Leben stehen kann, der Glaube aber ein fundamentaler Teil dieses Lebens ist. Diese Lektion war für mich noch weit wichtiger und bleibender, als alles Englisch, was ich in dieser Zeit lernte. Gegen Ende des Sommers kehrte ich ganz erfüllt nach Deutschland zurück, mit dem Wunsch möglichst bald wieder nach Nordamerika auf meine Farm zu reisen.
Doch daraus wurde erstmal nichts. Im Jahr 2005 stand der Weltjungendtag in Köln an – von Amerika aus gesehen: vor meiner Haustür – und es galt bei der Vorbereitung dazu zu helfen. Einige Freunde aus Kanada kamen mich dann auch besuchen. Oder besser gesagt: Meine Eltern. Sie landeten zu früh um schon eine Unterkunft zu haben, jedoch zu spät um mich zu treffen. Ich war irgendwo im Sauerland, bereitete ein Sommerlager für Kinder vor und ärgerte mich sehr, nicht in Köln zu sein, wo doch die Musik spielte. Dies war einer der Momente, wo meine Pläne mit Gottes Plänen kollidierten. Und obwohl ich überzeugt war, dass meine Pläne genial und seine Pläne bescheuert seien, erinnerte ich mich doch daran, was ich den Sommer vorher gelernt hatte: Gott ist größer! Mit mehr rationaler Entscheidung als emotionaler Freude ließ ich mich also darauf ein. Aber ich konnte es aber nicht lassen, dies sang- und klanglos zu tun. Regelmäßig erinnerte ich Ihn daran und klagte Ihm mein Leid. Ganz ähnlich wie Petrus es im Evangelium Jesus sagt: Wir haben alles zurückgelassen, was werden wir dafür bekommen? (vgl. Mt 19,27).
Die große Entscheidung
Nach dem Weltjugendtag ging es in großen Schritten auf das Abitur zu: Das letzte Schuljahr brach an. Nun war mir klar, dass ich meine weitere Lebensplanung weiter konkretisieren musste. Bisher hatte ich sie vor mir hergeschoben und bin den gutgemeinten Fragen in dieser Hinsicht mit betont wagen Antworten aus dem Weg gegangen. Der Kampf war Folgender: Sollte ich nochmal nach Amerika reisen, die Sprachkenntnisse verbessern und mich dann einem Ingenieursstudium widmen – das war mein Plan, oder müsste ich nicht erst doch noch der Frage nachgehen, ob ich Gott nicht eine noch größere Rolle in meinem Leben spielen lasse? Nicht so sehr in der zweiten Reihe, sondern vorneweg? Ich brauchte ein Jahr um diesen Kampf zu einer Entscheidung zu führen. Neben dem Interesse an eine Rückkehr nach Amerika reizte mich auch ein technisches Studium sehr, hatte ich doch gegen Ende der Schulzeit in diesem Bereich einige Erfolge vorzuweisen. Doch war ich mir tief im Inneren bewusst, dass ich ein wirklich erfülltes Leben nur führen würde, wenn ich großzügig gegenüber Gottes Willen sein würde und nicht gegenüber meinem eigenen. Je mehr ich mich mit dieser Frage beschäftigte, je mehr ich mit ihr rang, war ich mir doch der großen Freiheit bewusst, welche Gott mir lies. Ganz unabhängig davon wie meine Entscheidung ausfallen würde. Es war also in dieser Situation, dass ich Gott um Klarheit bat. Vom eigenen Antrieb würde ich eher zum Ingenieur tendieren, doch wenn er etwas anderes von mir wollte, solle er es mir klar und deutlich mitteilen. Einige Wochen danach war besagte Wallfahrt von der ich eingangs berichtete. Das Erlebte war schon eine ziemlich klare Ansage. Es sollten sich für mich noch in ähnlich peinlichen Situationen wiederholen, immer verbunden mit der Aussage: „wenn Du Priester bist…“. Am Anfang fühlte ich mich ganz schön von Gott auf den Arm – erst später merkte ich, dass er mich Ernst genommen hatte.
Im Jahr 2006 trat ich dann nach dem Abitur in das Noviziat der Legionäre Christi in Bad Münstereifel ein. Da ich schon die Spiritualität und die Gemeinschaft kannte, war mir klar gewesen, dass wenn ich Priester würde, dann hier.
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